Cholatse: Im Tiefschnee zum Gipfel

SummitClimb Cholatse Expedition 2009 

Bilder und Text: Felix Berg - 2009 / Teilnehmer: Felix Berg & Robert Steiner.

Khumbu, Nepal: Umgeben von den Berggiganten des Himalaja steht der Cholatse, gerademal 6450 m hoch, mitten in einer grandiosen Bergkulisse. Als ich mit Robert nach einem Ziel in Nepal suchte, dachten wir erst an den 7 850 m hohen Nuptse. Doch dann machten wir die Kostenrechnung auf: 4000 $ für das Besteigungspermit und 2500 $ für den Laison Officer. Ziemlich teuer zu zweit! Dann kam mir die erlösende Idee: Bei einem Trekking Peak, und als solcher wird der Cholatse trotz seiner relativ schweren Anstiege deklariert, müssten wir keinen Laison Officer und nur eine Gebühr von 500 $ bezahlen. Die Nordwand des Cholatse bot auch ein ansprechendes Ziel. Erst dreimal bestiegen, 1983 die Erstbegehung, 2005 die zweite durch eine koreanisches Team und die dritte Begehung durch Ueli Steck im Solo, wird die Route in Anspruch, Länge und Schwierigkeit mit der Eiger-Nordwand verglichen. Dazu liegt der Gipfel auf über 6 000 m Höhe und der Abstieg ist ebenfalls nicht leicht. Erst 1982 wurde der Cholatse als letzter der namhaften Berge der Khumbu Region bestiegen; der Normalweg führt über den Südwestgrat und wurde seit der Erstbegehung nur fünfmal wiederholt.

Reise ins Ungewisse: Meinen Kletterpartner Robert Steiner kannte ich vor der Expedition nicht, doch mit jemandem seiner Erfahrung hatte ich keine Bedenken, das Projekt anzugehen. So hatte er schon die Eiger-Nordwand in 6 Stunden solo geklettert, Khan Tengri und Peak Pobeda bestiegen und eine namhafte Liste von schweren alpinen Routen auf seinem Konto. Wir hatten uns über den Ausrüster „Mammut“ kennengelernt und nur per E-Mail und Telefon den Ablauf abgesprochen. Auf dem Weg nach Frankfurt trafen wir uns und flogen dann gemeinsam nach Nepal für eine 50-tägig geplante Reise ins Ungewisse. In den Kellern des Flughafens fing beim Air India Check-In das fernöstliche Chaos an. Der Check-In war überfüllt wie ein indisches Busterminal, nach vielen Mühen bekamen wir hier schließlich unser Boarding Ticket und hoben am 14.September 2009 ab, um einen Tag später, nach einer rabiaten Landung mit stinkenden Reifen in Indien, langem nächtlichen Aufenthalt in Dehli und kurzem Weiterflug, in Katmandu anzukommen. Nach einem Tag in den hektischen Gassen von Thamel, dem Touristenviertel von Katmandu, flogen wir am 17.September nach Lukla, mit seinem kleinen in den Berg gebauten Flughafen das Tor zur Khumbu Region.

Der Standard-Trek Richtung Everest Basislager brachte uns vorbei an Namche Bazar, Tengboche mit seinem großen Buddhistischen Kloster, Pangboche, nach Pheriche und von dort zum Cho Tse See und dem etwas nördlich davon gelegenen Basislager. Dank der Unterstützung der Reiseagentur SummitClimb.de hatten wir Material aus dem Lager in Pangboche ausleihen können, ein großes Gruppenzelt, zwei Schlafzelte und die gesamte Küchenausrüstung, und richtetet uns mit Hilfe unseres Nepali Kochs Dorje bald sehr gemütlich ein. Das Septemberwetter, meist noch etwas instabil, war anfänglich recht gut. Doch seitdem wir im Basislager angekommen waren, regnete es immer ab Mittag bis in die Nacht. Die guten Morgenstunden wollten wir zum Akklimatisieren nutzen. Mit schweren Rucksäcken liefen wir in zwei kurzen Tagesetappen zum Cho La Col (5 500 m) und erwischten dann am 26.September den einzigen halbwegs passablen Tag zum Bergsteigen. Bei Sonnenaufgang brachen wir auf und kletterten den Westgrat auf den Nirekha Peak (6 150 m). Unter blauem Himmel, im gleißenden Sonnenschein, standen wir am Gipfel mit Aussicht auf Cho Oyu, Pumori, Everest, Nuptse und Lhotse, Ama Dablam und Cholatse. Erst als wir, teilweise durch sehr aufgeweichten Matschschnee absteigend, um 15.00 Uhr das Zelt erreichten, fing es an zu schneien.

Im Basislager, es regnete wieder, dachten wir, dass Wetter könnte nicht mehr schlechter werden. Doch wir irrten uns. Der ersten Woche Regen sollte eine zweite folgen. Robert hatte Schnupfen und ich ging wandern. Und erst dann wurde das Wetter wirklich schlecht. Es wurde kälter und über Nacht schneite es im Basislager. Innerhalb von fünf Tagen hatten wir 120 Stunden Niederschlag. Zuvor hatten wir schon eine Akklimatisationstour am Lobuche auf 5 800 m Höhe wegen der gefährlichen Schneeverhältnise abgebrochen, doch nun hörten wir es auch noch Tag und Nacht in der Cholatse-Nordwand krachen. Langsam wurde uns klar, dass wir eine Alternative brauchten. Denn selbst bei bestem Wetter würde es in der schattigen Nordwand und im kalten Oktober zwei Wochen dauern, bis sich der Schnee dort halbwegs gesetzt hätte. Wir entschieden, dass der Südwestgrat erstmal eine bessere Alternative sei. Diese Route wäre technisch um einiges einfacher und am Grat wären wir auch weniger den Lawinen ausgesetzt, somit sollten wir dort realistische Chancen haben, heil rauf und auch wieder runter zu kommen. Einziges Problem war, dass wir dazu zunächst auf die andere Seite des Berges mussten. Also packten wir unsere Rucksäcke nicht nur mit dem notwendigen Kletterausrüstung (ein Seil, vier Eisschrauben, zwei Firnanker und persönlichen Material), Schlafsäcken, Zelt und Kocher, sondern auch noch mit dem Essen für fünf Tage.

Aufstieg im Tiefschnee: In miserablem Wetter passierten wir am 8.Oktober den Cho La Pass (5 360 m), um dann nach Dranag abzusteigen. Dort übernachteten wir in einer Lodge. In der Nacht wurden wir mit einem grandiosen Sternenhimmel positiv eingestimmt und liefen dann am Morgen im Sonnenschein guter Dinge dem Cholatse entgegen. Beim klassischen Basislagerplatz bei Naktok betrachteten wir erst einmal den frisch verschneiten Berg. Etwas oberhalb auf der Randmoräne des Gletschers (5 100 m Höhe) schlugen wir um die Mittagszeit unser Zelt auf und beobachteten die Lawinenabgänge am Berg. Früh am Morgen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, gingen wir los. Über den frisch verschneiten, aber ganz gut zugefrorenen Gletscher gewannen wir schnell an Höhe und waren zum Sonnenaufgang am Plateau unterhalb der Steilwände des Südwestgrats. Da der große Felsturm nach dem Sattel, in dem wohl das Standardcamp liegt, die Gefahr Neuschnee bedeckter Platten barg, entschieden wir uns, direkt am linkem Rand des Turms in einer Verschneidung aufzusteigen. Diese führte anfänglich über 60° steiles Eis mit einigen steileren Aufschwüngen bis 75° in eine 55° steile Rinne mit tieferem Schnee. Jetzt war Wühlen angesagt. Da ich voran ging, nannte mich Robert irgendwann den „Bagger“ und meinte, ich hätte den Titel nun offiziell verdient. Wir kletterten seilfrei, um zügig voranzukommen. Nicht mehr allzu weit vom Grat entfernt, mit inzwischen 400 m Wand unter uns, wurde der Schnee noch tiefer und über uns tat sich senkrechter Fels auf. Eine Linksquerung durch heikles Lawinengelände musste her. Nachdem wir eine metertiefe Stufe gegraben hatten, standen wir gut und Robert fand sogar eine Eis-Kies-Mischung, in der er zwei bombig feste Eisschrauben versenkte. Wir seilten an und ich stieg los. Durch lockeren Schnee grub ich mich nach oben bis unter eine senkrechte Schnee- und Felsstufe. Beim Graben löste sich die Halterung eines meiner Karabiner am Eisgerät und schlug mir leicht ins Gesicht, doch hart genug, dass ich bemerkte, wie mir der Schneidezahn abbrach und im Schnee verschwand. Kurzer Moment der Panik, dann Konzentration! 30 m über dem Stand ohne Zwischensicherung musste ich völlig aufs Klettern fixiert bleiben. Ein paar Schritte weiter oben konnte ich eine schlechte Eisschraube setzen, ein paar Meter darüber eine gute. Durch einen Kamin, auf einer Seite in lockerem Schnee, auf der anderen im Fels, spreizte ich mich heikel nach oben, während ich über mir den Schnee wegräumte. Ausstieg, dann ein paar Schritte und der Grat war erreicht. Nach fünf Stunden Kletterei schlugen wir unser Lager auf 5 700 m auf. Wir mussten abwarten, bis die Nacht besseren Firn brachte, um weiterzusteigen.

Um 1.00 Uhr klingelte der Wecker und um 2.00 Uhr brachen wir auf. Ich war noch etwas träge von der Anstrengung des Vortages, also spurte Robert voran. Durch die Dunkelheit über steile Schneehänge, einen scharfen Grat, eine mit 15 cm Schnee belegte Granitplatte: Augen zu und hinterher folgte ich mit dem Gedanken: „Was ihn hält, hält mich hoffentlich auch“. Bei Sonnenaufgang wechselten wir die Führung. Dabei verloren wir das Erste Hilfe-Set mit dem darin eingepackten Satellitentelefon. „Mist, 1000 € weg“, war mein Gedanke. Dann stieg ich weiter durch steilen Schnee, an einem Serac vorbei durch den nördlichen Hang. Aufgrund der Lawinengefahr sicherten wir für eine lange Seillänge, in der ich im Zick-Zack-Kurs eine metertiefe Spur durch den weichen Schnee buddelte. Danach folgten wir weniger steilem Gelände zu einem Plateau unter dem Gipfelgrat. Dort blies ein eisiger Wind harte Eiskristalle umher. Den steilen und ausgesetzten Grat kletterten wir meist auf der Ostseite Richtung Gipfel, so hatten wir zumindest etwas Sonne. Da der Grat dann teilweise stark überwechtet war, kehrten wir kurz vor dem Gipfel auf die Nordseite zurück und stiegen von dort über eine kleine Flanke zum Plateau unter dem höchsten Punkt. Noch ein paar Meter entlang des Grats, dann standen wir auf dem eisumwehten Gipfel! Endlich, nach sieben Stunden mühsamen Aufstiegs! Doch wir ruhten nicht, machten nur schnell Bilder und beeilten uns, um aus dem Wind zu verschwinden und den heiklen Grat noch bei guten Verhältnissen abzusteigen. Zwar war es wegen des Windes bitterkalt, aber die Sonne heizte stark und das brachte die Gefahr mit sich, dass die Schneehänge aufweichten. Im Abstieg nochmals voll konzentriert, erreichten wir gegen 14.00 Uhr das Lager.

Die nächsten Tage vergingen schnell. Wir stiegen frühmorgens ab. Erstaunlicherweise fand Robert das Erste-Hilfe-Set und das Telefon hatte den 700 m-Sturz unbeschadet überstanden. Glück gehabt! Im Tal erholten wir uns kurz auf den idyllischen Wiesen, dann trennten sich unsere Weg. Ich eilte den 20km langen Weg zur Zahnklinik in Namche, wo ich fachkundig behandelt wurde, während Robert direkt über den Cho La Pass ins Basislager ging. Nach zwei Tagen Networking in Namche, wo ich Laden-, Bäkerei- und Barbesitzer wie auch den lokalen Bankmanger beim Schachspielen traf, war ich besten erholt. Dann ging es in einem Gewaltmarsch wieder rauf zum Basislager, doch als ich mit reparierten Zähnen ins Nordwand-Basislager zurückkam, sah ich Robert mit trüber Miene und bandagiertem Knie. Abgestürzt beim Wäscheaufhängen: Ein wackliger Stein, Sturz in eine Loch, ungünstiger über das Gestreckte Bein gerollte, war seine Kniescheibe raus und eine alte Verletzung zurück. Das Ende unserer ambitionierteren Pläne. Robert musste zur Operation nach Deutschland. Wir bauten das Basislager ab, und in Begleitung von Dorje humpelte Robert zurück in die Zivilisation. Obwohl ich Robert vor der Expedition nicht kannte, hatte es bergsteigerisch sowie menschlich gut gepasst. Darum war es schade, dass wir, perfekt eingespielt und akklimatisiert, nicht weiter gemeinsam klettern konnten. Die Verhältnise waren so schlecht, dass es ein mental sehr starkes, vielleicht sogar leicht verrücktes Team für einen Erfolg gebraucht hätte. Immerhin gelang uns mit der Besteigung des Cholatse im reinen alpinen Stil doch eine sehr ordentliche, und vor allem sehr schöne gemeinsame Abschlusstour.

Danach zog ich noch allein durch das Khumbu, einmal in die Nordwand des Cholatse, dann in 2h57min die 1200 Höhenmeter vom Basislager auf den beliebten Island Peak (6 180 m). Dort traf ich den Österreicher Christian Huber wieder, den ich von Namche kannte. Mit seinem Partner erkrankt, konnte ich ihn schnell für die Nordwand des Cholatse begeistern. Wir stiegen am 24.Oktober in die Wand ein. Von der Lodge in Dzongla (4900m) vorbei am alten Basislager (4700m) entlang der vorher im Solo erkundeten 50° bis 60° steilen Schneerippe erreichten wir den Anfang der Steilstufe auf ca. 5250m Höhe. Steiles kombiniertes Gelände mit teilweise sehr instabilen Schnee folgte. Während immer wieder Spindrift über uns hinweg fegte, kletterten wir 3 Seillängen, dann aus der direkten Linie (Standardanstieg der anderen Expedition) nach links. Mit etwas weniger Lawinen und Eisfall war es da angenehmer, doch das Gelände wurde steiler und abweisender. Ich übernahm in der 5. und 6.Seillänge die Führung, doch locker angepappter Schnee auf 80 bis 85°steilen Granitplatten lies meine Nerven blank werden. Dann folgte ein Übergang aus schlechtem Schnee über abdrängenden, überhängenden Granit in die nächste steile und lockere Schneestufe. Sehr heikel zum Sichern entschieden wir aus auf 5500m Höhe gegen 3:00 Nachmittags für die Umkehr. Das Gelände vor uns war entmutigend. Der anhaltendem Spindrift und die Lawinengefahr lies auf sehr schlecht Verhältnisse in der oberen Hälfte schließen. Wir waren am ‚Point of no return‘ angekommen: Weiter oben hatten wir kaum noch über die Wand absteigen könne. Umkehr! Wir kletterten bis zu 75°steiles Gelände ab und seilten 4-mal 60 Meter runter. Gegen 7:00 abends erreichten wir nach einem langen Tag den Wandfuss in der Dunkelheit. Nach einem Biwak am alten Basislager liefen wir in Bergschuhen nach Namche ab. Das ganze Wandern, zu viel davon in Bergschuhen, lies meine Füße wund werden und die Motivation für weitere Touren sinken. Statt meinen Flug zu verlängern, flog ich regulär heim. Sehr viele Kilometer hatte ich in der Horizontalen wandernd, zu wenige Meter in der Vertikalen, und dennoch erlebnisreiche 45 Tage in Nepal verbracht.

Bildergalerie Cholatse:

Weitere Informationen und Links

Cholatse Bericht auf Climbing.de

Englischsprachiger Cholatse Report, Picture Gallery auf Climbing.com

Weitere Medienberichte: DAV Panorama, News

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